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Was wir von Julian Zietlow über Spiritualität lernen können.

Okay, jetzt mal Hand aufs Herz: Wer hat die Spiri Serie rund um Julian Zietlow in den vergangenen 1,5 Jahren verfolgt? Zugegeben, die Handlungsstränge waren bisweilen komplex und es ist unmöglich, sie hier im Detail nachzuerzählen. Aber ich möchte den Protagonist*innen dennoch mal einen eigenen Artikel widmen, weil ich finde, dass wir viel von ihnen […]

Was wir von Julian Zietlow über Spiritualität lernen können

Okay, jetzt mal Hand aufs Herz: Wer hat die Spiri Serie rund um Julian Zietlow in den vergangenen 1,5 Jahren verfolgt? Zugegeben, die Handlungsstränge waren bisweilen komplex und es ist unmöglich, sie hier im Detail nachzuerzählen. Aber ich möchte den Protagonist*innen dennoch mal einen eigenen Artikel widmen, weil ich finde, dass wir viel von ihnen lernen können.

Worum geht’s?

Ein ehemaliger Fitness Influencer in seinen späten Dreißigern bricht aus seinem Leben aus, verlässt seine Frau und die beiden Kinder und begibt sich auf die thailändische Insel Ko Pha-ngan. Über Vegains, einen Dude, der sich mit Veganismus, Fitness und Bashar (dazu später mehr) beschäftigt, kommt er in Kontakt mit Substanzen. Auf Ko Pha-ngan trifft er auf Kate, eine junge Russin, die kein Geheimnis daraus macht, dass sie Russlands „Gold Digger Academy“, die Millionaires Hunter School, besucht hat.

An diesem Punkt habe ich mich immer wieder gefragt, ob Julian Zietlow seine Saturn Rückkehr (die normalerweise in den späten Zwanzigern stattfindet und in der man aus gewohnten Strukturen ausbricht) einfach verschleppt hat oder ob seine Uranus Opposition (die „midlife crisis“ aus astrologischer Sicht in den frühen Vierzigern) einfach früher reinballert.

Da er selbst immer wieder erwähnt, dass er eine Waage Sonne, einen Steinbock Aszendenten und einen Fische Mond hat, tippe ich auf ersteres. Denn diese Waage/Steinbock Kombi kann ein fieser Mix aus People Pleasing und Durchhalten/Zähne zusammenbeißen sein. Seinen eigenen Aussagen zufolge trieb ihn sein altes Leben auf jeden Fall in eine schwere Depression und er erwähnt in den ersten drei Staffeln immer wieder, dass er in seinem Anwesen auf dem Fußboden lag und sterben wollte.

Naja, auf Ko Pha-ngan ist auf jeden Fall alles anders.

Er erlebt, was jeder erlebt, der aus einer langjährigen Beziehung ausbricht. BÄM BOOM BÄNG und so. Aber durch all‘ die Substanzen fehlt es irgendwie an einer realistischen Einordnung. Es wirkt ein bisschen so, als hätte er seinen Steinbock Aszendenten an diesem Punkt einfach ausgeknipst und als würde er nur noch die Schattenseiten seines Fische Mondes leben. Totale Entgrenzung durch Flucht in Substanzen. Bewusstseinsveränderung, Illusionen und Wahn. Er lässt sich „I am God“ auf die Brust tätowieren, bezahlt Kate neue Brüste und nennt sie fortan seine „spiritual wife“. Währenddessen hetzt er durchgängig und öffentlichkeitswirksam gegen seine Ehefrau und lässt kein gutes Haar an ihr. Wer mag, kann nach wie vor in dieses rabbit hole abtauchen und sich das alles reinziehen. Sein Absturz ist digital fein säuberlich portraitiert.

Als Gott ist er auf jeden Fall in bester Gesellschaft, denn sein Buddy Kynam Truong hält sich für die Reinkarnation Buddhas und lässt sich in Season 2 „the chosen one“ auf den Rücken tätowieren. Er ist selbst ernannter Schamane und serviert verlorenen Seelen Ayahuasca im Berliner „Healing Dome“ und auf Ko Pha-ngan. Als weitere wichtige Nebendarsteller gesellen sich Luca Liram, ein nach eigenen Angaben ehemals Pornosüchtiger, mit starkem Schweizer Akzent, der kein Englisch spricht, und Sarah Wanka, eine junge Berlinerin aus reichem Elternhaus dazu. Gemeinsam mit Julian und Kate trippen sie auf Ko Pha-ngan und portraitieren ihre Erfahrungen in einem Video-Podcast namens „Four Junkies“. Es ist unangenehm anzuschauen. Und noch viel cringiger anzuhören. Die Themen? Unangenehm pubertär.

Was die Storyline allerdings ein Stück weit problematisch macht, ist die Entwicklung aller Protagonist*innen weg von spirituellen 0/8/15 Druffis hin zu „Heiler*innen“, „Schamanen“ und „Magier*innen“.

Der bereits weiter oben erwähnte Bashar Kult impliziert, jederzeit seinem „highest excitement“ zu folgen. Und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Dieser Lifestyle vermischt sich nun mit spiritueller Egozentrik und die daraus resultierende Essenz ist brandgefährlich, wenn sie auf Menschen trifft, die gerade etwas labiler oder angeschossen durchs Leben taumeln.

Julian Zietlow ist auf jeden Fall sehr gut im Verkaufen. Sein Süßstoff-Imperium hatte er damals auf der Zielgruppe essgestörter junger Frauen errichtet. Und viele von ihnen folgen ihm auch jetzt, wo es um die ultimative Erleuchtung geht. Er promoted Kynam, also Buddha, als „den besten Schamanen des Universums“ und ernennt den Schweizer zum „besten Coach des Universums“. Die Retreats füllen sich. Der Rubel rollt. Dass die Geschäftsadressen sich immer im Ausland befinden und die zwei- bis dreitägigen Retreats für mehrere tausend Euro keine Steuern inkludieren? Ehrensache.

Über die Monate kann man als Außenstehende*r allerdings beobachten, wie Julians Depression ihn immer wieder einholt. Wie er kämpft. Es ist tragisch, weil er seine Heilung ausschließlich in Substanzen sucht. Selbst Kate wird das alles irgendwann zu wild und obwohl sie doch twin flames waren, macht sie Schluss. Nur kurz darauf krallt sich best buddy Kynam Kate und Julian tickt aus. Erst haut er Kynam aufs Maul und später droht er auch noch Vegains (dem von ganz am Anfang), ihn umzubringen und geht ihn körperlich an.

Nachdem er nackt auf Bali neben einem Tempel meditiert und das öffentlich dokumentiert, verlässt er erstaunlich schnell das Land. Und nachdem Vegains ihn in Thailand bei der Polizei anzeigt, verschwindet er auch relativ zügig von der Insel.

Kurze Zeit später teilt „I am God“ dann in einem 50€ Zoom aus Dubai seine Lebensweisheiten mit seinen Anhänger*innen. Ein darauf folgendes Insta Live geht komplett in die Hose. Er wirkt maximal verloren. Alle sind verstört. Nur kurz darauf zieht er wieder bei seiner Ehefrau in die Millionenvilla (die ihn absurderweise mit offenen Armen zu empfangen scheint) und schlüpft nun step by step wieder zurück in sein altes Leben. Das Leben, das ihn angeblich so zerstört hat.

Alle, die in den vergangenen 1,5 Jahren reichweitentechnisch von dem Aufenthalt innerhalb seines Dunstkreises profitiert haben, schließen sich nun zusammen, verkaufen Retreats und Schnupftabak zu vollkommen überzogenen Preisen und nennen sich „Schamanen“, „Heiler*innen“ und „Magier“.

Ich gebe zu, das hätte man alles nicht besser scripten können. Angeblich bemüht sich Kate gerade in Russland um ein Visum, weil sie nach Berlin will. Man darf also gespannt sein, was in Staffel 4 passiert. Aber bei all‘ dem Entertainment, das nun bereits seit geraumer Zeit tausende von Menschen in seinen Bann zieht, können wir viel aus der Nummer lernen.

1. Mental Health is a thing!

Wir sollten psychische Erkrankungen endlich als das anerkennen, was sie sind. Erkrankungen. Ein gebrochenes Bein lassen wir behandeln und genau das gleiche sollten wir auch mit einer Depression tun. Scham rund um Psychotherapie ist vollkommen fehl am Platz. Zur Therapie zu gehen sollte so normal sein wie ein Zahnarztbesuch! Und eine Erkrankung der Psyche auf eigene Faust zu „heilen“, indem man random alle Substanzen konsumiert, die die indigenen Völker dieses Planeten so im Repertoire haben, führt augenscheinlich nicht zur Heilung. Dies dennoch zu behaupten und es sich zunutze zu machen, dass es verzweifelte Menschen gibt, die gerade auf einen Therapieplatz warten, ist brandgefährlich. Und Profit daraus zu schlagen mehr als widerlich.

2. „Plant medicine“ gehört nicht in die Hände selbst ernannter Instagram Schamanen.

Das hat was mit Respekt und Demut zu tun. Aber da wir hierzulande unsere eigenen Schamanen a.k.a. Hexen ja sehr effizient verbrannt und unsere indigene europäische Spiritualität ausgelöscht haben, müssen wir uns nun eben an anderen Kulturen bedienen und ein Business draus machen. Der Kapitalismus drückt da auf jeden Fall den Like Button.

3. Aber kulturelle Aneignung macht hässlich!

Von optischen Elementen wie Federn im Haar oder indigenem Halsschmuck mal abgesehen skizziert der Hedonismus dieser Gruppe sehr schön, was passiert, wenn viele Egos mit Privilegien im Gepäck auf der Bühne des Kapitalismus aufeinandertreffen. Man nimmt sich einfach, was man haben will. Heute Bufo, morgen Ayahuasca, übermorgen Pilze und anschließend Kambo. Wie Kinder im Spielzeugladen.

3. Check your privilege!

Mit Millionen auf dem Konto lässt sich das „highest excitement“ leichter leben als als Alleinerziehende. Da kann man monatelang auf thailändischen Inseln rumpimmeln, ohne dass es irgendwelche Konsequenzen nach sich zieht. Wer jederzeit zurückkehren kann in Mamas und Papas Lankwitzer Villa mit Pool, fällt weicher als jemand, der ohnehin schon wirtschaftlich struggelt. Denn nein, nicht jeder kann so leben. Auch wenn die Protagonist*innen es immer wieder behaupten. Das beste Beispiel dafür ist eine Nebendarstellerin, die ursprünglich über Instagram auf die Serie reactet hat, sich dann aber stalkermäßig so an die Protagonist*innen rangewanzt hat, dass sie mittlerweile irgendwie Teil der Gruppe und die beste Freundin von Kate geworden ist. An ihr kann man sehr gut beobachten, dass die Sache mit dem highest excitement eben nicht aufgeht, wenn man keine Kohle hat.

4. Glaubt nicht alles, was ihr auf Social Media seht!!!

Wenn uns diese Serie eines gelehrt hat, dann doch genau das. Jede einzelne Beziehung war super special und sacred und divine. Twin flame my ass! Und sobald der erste Struggle ansteht, geht dann alles den Bach runter. Schuld war natürlich immer das Universum. Oder irgendwas mit Human Design. Die Gründe komplett an den Haaren herbeigezogen und maximal absurd. Aber es war die größte Liebe, die es gibt. Die einzig wahre. So viel besser als all‘ eure Beziehungen, ihr Loser! Dabei sind echte Beziehungen doch wie Achterbahnen. Mal gehts bergauf, mal bergab. Das ist menschlich. Nach dem ersten Looping alles hinzuschmeissen, spricht nicht unbedingt für einen Zustand der Erleuchtung. Aber naja, was weiss ich schon…

5. Die Abkürzung lohnt sich nicht.

Wenn man die Protagonist*innen der Serie nun über mehrere Staffeln beobachtet, ist wirklich keinerlei Entwicklung erkennbar. Es ist der immer gleiche Loop. Sie sind erleuchtet und leben die perfekte Beziehung. Sie sind so viel wacher und ihre Beziehung ist so viel besonderer als alle anderen Beziehungen. Der kleinste Störfaktor führt dann allerdings zum Breakup. Und dann muss die plant medicine wieder ran. Es folgt die große Läuterung, der Insta Feed wird gesäubert, JETZT weiss man WIRKLICH über alles Bescheid. Die krassesten Insights ever bla bla und der ganze Bums beginnt von vorne.

Substanzen können sicherlich eine Abkürzung sein, um Einblicke zu bekommen, für die man sonst einen großen Teil des eigenen Shits erstmal beackern muss. Aber es ist nunmal nicht nachhaltig, weil der Weg dorthin nie gegangen wurde. Wer bei IKEA die Abkürzung nimmt und bei den Lampen rauskommt, war eben nie bei den Sofas. Und was bringen einem die schönsten Lampen, wenn es kein gemütliches Sofa gibt? Ich gebe zu, der Vergleich ist sackdämlich, aber ihr wisst, worauf ich hinaus will.

Ich gehöre nämlich zu den Menschen, die bei IKEA immer die Abkürzung nehmen und dadurch nie dort ankommen, wo sie eigentlich hin wollten. Am Ende brauch ich immer länger, weil ich vollkommen lost bin in diesem verfickten Möbellabyrinth.

Aber zurück zum Thema: Die Abkürzung lohnt sich nicht.

Vom Abhängigkeitspotential ganz zu schweigen. Wer nicht mehr ohne Schnupftabak oder „Mama Aya“ sein Leben bestreiten kann, hat ein Problem. Und dieses Problem hat nichts mit Spiritualität oder Erleuchtung zu tun.


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