Love & Gaslight – Good Vibes Only
Kennt ihr das? Ihr kritisiert etwas, was sich für euch superschräg und irgendwie falsch anfühlt und euer erleuchtetes Gegenüber spielt euch den Ball zurück mit: „Na wenn das Dich so triggert, solltest Du mal schauen, was das mit Dir zu tun hat.“ Excuse me? Wenn ich kritisiere, dass Nazis die Unterkünfte geflüchteter Menschen anzünden, entgegnete […]
Kennt ihr das? Ihr kritisiert etwas, was sich für euch superschräg und irgendwie falsch anfühlt und euer erleuchtetes Gegenüber spielt euch den Ball zurück mit:
„Na wenn das Dich so triggert, solltest Du mal schauen, was das mit Dir zu tun hat.“
Excuse me? Wenn ich kritisiere, dass Nazis die Unterkünfte geflüchteter Menschen anzünden, entgegnete mir bisher noch nie jemand „Na wenn das Dich so triggert, solltest Du mal schauen, was das mit Dir zu tun hat.“ Warum also ist dieser Satz in der „spirituellen Szene“ so allgegenwärtig? Dieser Frage möchte ich heute mal nachgehen.
Ich habe euch auf Instagram gefragt, ob ich alleine damit bin, dass mir dieses „Love & Light“ beziehungsweise „Good Vibes Only“ Geblubber hart auf die Ketten geht.
Und wer hätte es gedacht? Ich bin es nicht.
Ich weiss nicht, wie oft ich in den vergangenen Jahren schon Diskussionen mit Spiris geführt habe, die immer wieder an dem Punkt endeten, dass ich doch mal bitte schauen soll, was meine Kritik mit mir selbst zu tun hat.
Ein super beliebtes Argument, um die eigene Love & Light Bubble nicht zu verlassen und sich nicht mit den schwerwiegenden Problemen dieser Welt auseinander zu setzen.
Ein simples Beispiel: Ich finde es problematisch, wenn sich Frauen in den sozialen Medien halbnackt in Yogaposen inszenieren. Und zwar aus verschiedenen Gründen:
- Gesellschaftspolitisch betrachtet fügen wir uns damit nämlich geschmeidig ein in ein nach wie vor zutiefst patriarchales System, in dem eine Frau die meisten Likes und den meisten Zuspruch bekommt, wenn sie sich fuckable inszeniert, sich auf ihren Körper reduziert und keine ungemütliche Meinung artikuliert.
- Auf einer anderen Ebene benutzen wir Yoga aka eine Philosophie, die keineswegs nur weißen Cis-Frauen vorbehalten sein sollte, die dem gängigen Schönheitsideal entsprechen und sich bauchfrei und in Hotpants auf ihren Körper und ein plattes englischsprachiges Quote reduzieren. Call me a Freak, aber in meiner Welt ist Yoga für alle Menschen da, die in der Lage sind, eigenständig zu atmen!?
- Auf einer dritten Ebene geht dieser spirituelle Narzissmus Hand in Hand mit dem Kapitalismus, denn diese Menschen leben in der Regel ja nicht von Likes und Kommentaren. Und wo Spiritualität und Kapitalismus sich die Hand reichen, wird es meistens ziemlich hässlich. (Und das sage ich als Person, die selbst Räuchermischungen, Karten und Spiri Zeug anbietet.) Denn für gewöhnlich wird der Weg zum Glück verkauft. MEIN Onlinekurs ist DEIN Weg in ein glückliches Leben. MEINE Ausbildung führt DICH in DEIN Higher Self (aka ein Ort des Lichts und der Liebe). Wenn Du MEIN eBook kaufst, wird sich DEIN Leben grundlegend ändern und zum Guten wenden.
Bitte versteht mich nicht falsch, es geht mir keineswegs um weibliche Selbstbestimmung oder Fotos halbnackter/nackter Körper. Aber solange wir in einer Gesellschaft leben, in der junge Mädchen von Heidi Klum auf eine ganz bestimmte Art und Weise öffentlich abgerichtet werden und in der es als selbstverständlich angesehen wird, dass Männer gegen ein Entgelt Frauen wie Waren für Sex kaufen können, muss doch ein kritischer Diskurs gestattet sein!?
Ich habe dieses Beispiel gewählt, weil mir in diesem Kontext das letzte Mal die „Na wenn das Dich so triggert, solltest Du mal schauen, was das mit Dir zu tun hat“ Keule um die Ohren gehauen wurde. Aber im Prinzip lässt sich das Muster auf alle unfluffigen Themen übertragen, die uns in unserer irdischen Existenz nunmal genauso umgeben wie „Love & Light“.
Ich will es mal ganz direkt zum Ausdruck bringen: In den letzten 12 Monaten hat das Leben uns doch alle auf die ein oder andere Art gefickt. Ich kenne zumindest keinen Menschen, der nicht mit Schattenthemen konfrontiert wurde. Das haben Krisen ja so an sich. Und dennoch gibt es auch nach einem Jahr noch unglaublich viele Menschen, die sich (zumindest in ihrer Außendarstellung) krampfhaft an „positives Denken“ und das Negieren sämtlicher Ungemütlichkeiten klammern. Wer da tiefer einsteigen will, kann ja mal „toxische Positivität“ oder „Spiritual Bypassing“ googeln.
Nun könnte man natürlich sagen: „Na lass‘ sie doch einfach!“ Und im Prinzip ist das natürlich auch vollkommen richtig. Schwierig wird es meiner Meinung nach aber dann, wenn man als Gegenüber mit der „Na wenn das Dich so triggert, solltest Du mal schauen, was das mit Dir zu tun hat“ Keule selbst pathologisiert wird. Ich habe das über die letzten 15 Jahre immer und immer wieder erlebt.
Diese Keule erstickt jeden konstruktiven Diskurs im Keim und blamed immer die Person, die sich erdreistet, an der Love & Light Oberfläche zu kratzen.
Und sie impliziert ganz automatisch: „Du bist noch nicht so weit wie ich. Du bist noch nicht so wach wie ich. Du bist noch nicht so erleuchtet wie ich. Du hast ernsthaft noch negative Gefühle? Du solltest an Dir arbeiten.“
Ich stelle im Austausch mit anderen immer wieder fest, dass diese „Good Vibes only“ People nicht nur mir ungute Gefühle bereiten. Denn sind wir doch mal ehrlich: Wenn ewiges Dauergrinsen und das zur Schau stellen des eigenen, vermeintlich perfekten Lebens den Social Media Feed dominieren, während man selbst taumelt, wertet das einen selbst auf kurz oder lang natürlich ab. Entfolgen und Stummschalten kann Teil der Lösung sein, ersetzt aber keinen gesunden Diskurs zu spirituellem Narzissmus im Good Vibes Only Universum.
Was also tun gegen diesen digitalen Abfuck?
Zunächst einmal hilft es enorm, zu wissen, dass man damit nicht alleine ist. Ich denke mal, wir kennen das alle. Im zweiten Step könnte man den eigenen Umgang mit Social Media überprüfen. Zeige ich selbst auch nur die Schokoladenseiten meines Lebens oder umfasst meine digitale Präsenz auch Struggles und weniger lichtvolle Momente? Ich für meinen Teil versuche ganz bewusst, mich so wahrhaftig wie möglich zu zeigen und nicht nur fluffiges Zeug zu teilen und wurde dafür noch nie kritisiert. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir uns gegenseitig so viel mehr empowern würden, wenn wir weniger schauspielern und uns wahrhaftiger begegnen würden! (Und zwar ganz egal ob online oder offline…)
Wenn man dahingehend dann selbst halbwegs stabil aufgestellt ist, darf es meiner Meinung nach auch zur Regel werden (und muss nicht länger die Ausnahme bleiben), einen öffentlichen Diskurs anzuschubsen, wenn man toxischer Positivität begegnet. Menschen, die in der „Love & Light“ Bubble unterwegs sind, reagieren auf solche Schubser in der Regel auf zwei Arten.
Entweder mit der „Na wenn das Dich so triggert, solltest Du mal schauen, was das mit Dir zu tun hat „Keule oder sie blockieren umgehend alle User, die das Love & Light Game nicht mitspielen.
Spätestens dann ist es an der Zeit, zu verstehen, dass hier toxische Positivität am Start ist und dass es gesünder ist, sich von dem entsprechenden Account zu distanzieren. Wenn wir das mehrheitlich so handhaben würden, wären diese ganzen Love & Light Accounts nicht mehr so groß und hätten infolge dessen auch nicht mehr so eine große Macht, unsere Befindlichkeit in diesem Maß zu beeinflussen.
(Inwieweit Spiritualität per se ausschließlich fluffig, lichtvoll und voller Liebe ist, sei ja eh‘ mal dahin gestellt. Aber dieses Fass möchte ich heute nicht auch noch aufmachen.)
Daher mein Rat an dieser Stelle: Lasst euch nicht verarschen.
Wenn ihr schlecht drauf seid, seid ihr halt einfach mal schlecht drauf. Kein Grund, gleich zum Dankbarkeitstagebuch zu greifen oder sich mit Sonnengrüßen von der schlechten Laune abzulenken.
Manche Gefühle wollen einfach ausgehalten werden, bevor sie sich ganz von alleine wieder verpissen.
So läuft das zumindest in meiner Welt. Wenn euch Schicksalsschläge ereilen, muss euch keineswegs die Sonne aus dem Arsch scheinen. Auch Traurigkeit, Existenzangst oder Ohnmacht gehören zu den Gefühlen auf unserer Festplatte. Und auch diese Gefühle haben ihre Daseinsberechtigung.
Ich bin mir sicher, dass wir alle seit nun mehr 12 Monaten Tag für Tag unser Bestes geben. Seid daher bitte nicht zu hart mit euch und vergleicht euch nicht mit diesen lichtvollen Fake Identitäten im Netz.
Da könnt ihr nur verlieren.